Obersuhl im 19. Jahrhundert
1808 kam der erste Breitbart, der Johann Justus, nach
Obersuhl . Die Hagelgans lebten zu
diesem Zeitpunkt schon lange in Obersuhl . Über die 1808 folgenden Jahrzehnte
Obersuhls mit u.a. seinen Breitbarts und
Hagelgans, - Obersuhl hatte 1875 etwa 1400 Einwohner , im Jahr 2003 um die
3200 - schreibt (nach 1891) der Obersuhler
Pfarrerssohn und "Geheime Studienrat" Ferdinand Schantz (1844-1919)
in "Obersuhl -Geschichte eines Dorfes" 1971 von Georg IDE ab Seite 98
unter anderem:
Unsere
Ortschaft ist ein echtes deutsches Bauerndorf. Langgestreckt zieht es sich am
Wasser, an der Suhl hin, die aus dem Rhäden,
einem großen Sumpf kommend, einst in zwei Armen das Dorf durchzog, jetzt
aber zu einem Wasserlauf vereinigt ist. Zwei Hauptstraßen, parallel der Suhl,
durchziehen es. In der Mitte der einen liegt der alte Mittelpunkt, die Kirche,
daneben etwas tiefer das Pfarrhaus.
Seitwärts der Kirche sehen wir die Dorflinde, um sie herum den alten
Versammlungsplatz der Bewohner, wo von alters her die Gemeinde zusammentraf,
auch in meiner Jugend noch die Stätte, wohin der Bürgermeister zur Mitteilung
obrigkeitlicher Erlasse berief An den Hauptstraßen, meist in der Mitte des
Dorfes, liegen die Bauernhöfe. Manche kleineren Höfe liegen seitwärts der
Hauptstraße, in den Gassen oder in Ecken, ganz nach altgeramischen Brauch, wie
ihn Tacitus in seiner Germania schildert: sie wohnen getrennt und zerstreut,
wie ihnen eine Quelle, ein Feld oder Wald gefiel.
Die
Höfe
Alle Höfe sind in der fränkischen
Bauweise errichtet, meist ein offenes Rechteck bildend. An der einen Seite das
Wohnhaus-, an derselben Seite, durch einen schmalen Raum getrennt, die
Viehställe. An der hinteren kurzen Seite die Scheune mit großem, hohem Tor -
eine praktische Einrichtung, da so der Bauer, zumal bei drohendem Regen, mit
dein hochbeladenen Wagen einfahren und seine Ernte in Sicherheit bringen konnte.
Auf der dritten Seite liegen weitere Viehställe und Schuppen aller Axt. Die
Seite nach der Straße ist meist offen, hier und da mit einer Wand aus Staketen
oder Brettern geschlossen, in deren Mitte sich ein breites Tor befindet. Vor
den Viehställen ist der Platz, den ein ordentlicher Bauer mit Liebe hegt und
pflegt, die Miste (die Dungstätte), von
der aus seine Felder Kraft und Mittel zu neuem Ertrag erhalten. Das Wohnhaus
liegt meist unmittelbar an der Straße, es ist Fachwerkbau, starke Holzbalken geben
ihm Halt und Festigkeit. Die einzelnen Fachwerke zwischen den Balken sind in
älteren Häusern mit Holzgeflecht und darauf geworfenem Lehm ausgefüllt, in
neueren mit Backsteinen oder Lehmsteinen. Eine weiße Kalkschicht überdeckt die
Lehmwand und schützt sie gegen Regen, hier und da sieht man auf solchem
Kalkbewurf die einfache Malerei eines Dortkünstlers, etwa eine Blume. Auch
Haussprüche fehlen nicht, teils ernsten, teils humoristischen Inhaltes. Die
Balken sind vielfach mit Ölfarbe gestrichen; bei reichen Bauern sind die
Eckbalken an der Vorderseite mit einfachen Verzierungen geschmückt. Namentlich
der Balken über der Haustür zeigt oft die Namen des Ehepaars, das den Bau
aufgeführt hat und die Jahreszahl, daneben einen frommen Spruch.
Der
schönste Bauernhof war einst der sogenannte
Lehnshof, früher ein Lehen der Rotenburger Landgrafen, später freies
Eigentum des Besitzers . Der Hof, dicht neben der Linde gelegen, war das Muster einer fränkischen Siedlung: an
der Straße das Wohnhaus, ein schönes altes Bauernhaus mit starken Balken, über
der Haustür ein Spruch: “Gottes Güt und Barmherzigkeit , ist stets mein Stab
und mein Geleit” - neben dem Wohnhaus
die Ställe zum Teil - davor der große Hofraum, im Hintergrund und an der
anderen Seite die Scheunen, Ställe und Schuppen. Hinter dem Hof liegt vielfach
ein Garten, ein Teil ist Grasgarten, der andere Gemüse- und Blumengarten. Hier
zieht die Bäuerin(und die Töchter) mit Sorgfalt die seit alters beliebten
Blumen: Nelken, Aurikeln, Tulipanen, Tausendschön und andere; meist findet sich
auch ein Rosmarinstock, dessen Zweige bei Hochzeiten und Taufen, vor allem bei
Begräbnissen begehrt sind.
So
verrät das Ganze schon von außen, welcher Sinn in unserem Bauernstand herrscht:
Gediegenheit, Ordnung und Freude an eigenem Besitz, aufrichtige Religiosität
daneben Sinn für Humor und für einigen Schmuck seines Daseins.
Ebenso
freundlich ist das Innere des Hauses. Nach der Straße zu liegt die Wohnstube,
hell und sauber. Der Fußboden ist mit weißen Holzdielen belegt , die des
Sonnabends mit einem Schrupper unter Verbrauch von reichlichem Wasser gereinigt
und später mit weißem Sand bestreut werden. Die Wände waren mit Kalkfarbe
gestrichen, Tapeten waren noch unbekannt. An der Wand liefen befestigte
hölzerne Bänke, davor stand der Tisch,
stark und gewichtig, die Beine vielfach über Kreuz laufend ; an den anderen
Seiten des Tisches standen die gewöhnlichen Bauernstühle, die Rücklehnen meist
mit einem herzförmigen Ausschnitt. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein
Schrank mit Porzellan oder eine Kommode. Hinter der Tür war der mächtige Ofen,
der von außen mit Holzklötzen, namentlich Wurzelstöcken geheizt wurde und eine
behagliche Wärme verbreitete. Feuerung mit Kohlen war unbekannt. Hier und da
fand man noch alte Öfen, deren Platten Szenen aus dem Menschenleben
darstellten, oft auch biblische Bilder. Die neueren Öfen hatten freilich nur
Platten mit erhabenen Linien. Über dem eisernen Unterbau des Ofens erhob sich
der aus Backsteinen gemauerte Oberbau mit der Kachel, in der die Speisen oder
der Kaffee warmgestellt wurden. Für die Kinderschar war die Kachel besonders
wichtig. Wie herrlich konnte man darin Äpfel braten, wie lieblich klang das
Zischen des ausströmenden Saftes, der verriet, daß der Bratapfel bald zum
Verspeisen gar war. In dem Winkel, den die Hauswand mit dem Ofen bildete, war
ein mäßig großer Stein, ein von den Kindern ersehntes und oft umstrittenes
Plätzchen. Warm und gemütlich saß man dort zu zweit oder dritt und erzählte
sich mit leiser Stimme - doppelt schön, wenn draußen der Wintersturm durch das
Dorf raste und Frau Holle ihr Bett schüttelte, daß große Wolken Schnees die
Luft verfinsterten.
In
den Stuben kleinerer Bauern und Tagelöhner lief oft in der Höhe des oberen Türbalkens
ein hölzernes Gesims; hier lag die Bibel und das Gesangbuch, ebenso der
Kalender, in den die wenigen, für den Bauern wichtigen Daten, z. B. die Tage
der Zinszahlung, eingetragen wurden; hier standen die Arzneigläser und
Ähnliches.
Mehr
nach dem oberen und unteren Ende des Dorfes hin lagen die Häuser der Tagelöhner
und Handwerker. Zur Miete wohnten nur wenige Leute. Der Wunsch, ein eigenes
Haus zu besitzen und in demselben unbelästigt von fremdem Befehl und Eingriff,
als eigener Herr zu walten, dieser echt deutsche Charakterzug, trat auch hier
überall hervor. Jeder suchte ein eigenes Heim zu gewinnen, wenn auch das
Häuschen nur klein war, nur aus hohem Erdgeschoß und drei Stuben und Küche
bestand, und darüber der Bodenraum.
Unter den Wohnräumen , zu denen meist eine hohe steinerne Treppe führte,
war der eine Teil ein Stall für eine oder ein paar Ziegen, der andere
Teil Keller. Jeder suchte seinem Haus oder Häuschen ein freundliches
Ansehen zu geben, es wurde mit Kalkfarbe gestrichen und sauber gehalten. Wie
bei vielen Höfen lag neben oder hinter dem Haus ein Garten oder Gärtchen, für
das die Hausfrau nach Kräften sorgte. Daß es in der Anlage der Höfe, in dem Bau
der Wohnhäuser gar vielerlei Verschiedenheiten und Abstufungen gab - vom Besitz
des Großbauem zu dem des mittleren und kleineren Bauern oder zu dem der
Handwerker und Tagelöhner, ist natürlich. Das Leben ist ja keine mathematische
Formel, die unveränderlich bleibt, das Leben ist Bewegung, Freiheit und
Selbständigkeit.
Das Handwerk
Trotz
allem Fleiß der Bewohner konnte die Landwirtschaft nicht alle ernähren. Daher
gab es die in jedem Dorf nötigen Handwerker, Schmiede, Wagner, Schreiner,
Schuster, Schneider usw., außerdem Krämer, die Kolonialwaren vertrieben. Andere
notwendige Waren kaufte man in Berka oder Gerstungen. Außerdem trieben manche
Einwohner Handel. Montag morgens brachen sie auf und wanderten auf die
benachbarten Dörfer, vor allem ins Werratal bis Vacha und Tiefenort. Dort
kauften sie Eier, Butter, Käse, Geflügel aller Art und brachten diese
Nahrungsmittel auf die Wochenmärkte in Eisenach. Den Weg hin und zurück machten
sie meist in einem Tag, eine tüchtige Leistung als Fußweg, da die Entfernung
bis Eisenach 6-7 Stunden beträgt. Besonders begehrt waren auf dem Markt in
dieser Stadt die Eier der Kiebitze, die in dem Räten bei Obersuhl in großer
Menge lebten. Daß dieser Handel in den 50er und anfangs der 60er Jahre so
lebhaft betrieben. wurde, hatte seinen Grund mit darin, daß in kurhessischer
Zeit solche Händler keine Gewerbesteuern zu zahlen hatten. Doch war der
Verdienst durch den Handel teuer genug erkauft. Denn auch bei Regen,
Schneesturm und Frost stundenweit zu wandern war mühselig und gefährlich genug.
Kamen doch mehrmals Leute im Winter um, so ein braver, fleißiger Mann namens Nickel
, der bei der Heimkehr sich dicht vor dein Dorf auf einen Stein setzte, um
einen Augenblick zu ruhen, einschlief und nicht wieder erwachte. - In
preußischer Zeit nach 1866, mußte jede handeltreibende Person einen
Gewerbeschein lösen. Wenn auch die Steuer für den Einzelnen nicht hoch war,
fiel sie doch ins Gewicht, wenn in einer Familie 2-3 Personen, auch
abwechselnd, auf den Handel gingen. Daher wurde dieser Erwerb späterhin von
manchen aufgegeben.
Als
in den 40 er Jahren die E i s e n b a h n von Kassel nach Gerstungen-Eisenach
gebaut wurde, tat sich für viele Männer eine andere Quelle des Erwerbs auf.
Dort wurden, namentlich beim Bau des Tunnels, den 2 Wallonen leiteten, manche
beschädigt einige wurden Krüppel. Nachdem die Strecke Bebra-Gerstungen fertiggestellt
war, erfolgte die feierliche Einweihung.
Als der festlich geschmückte Eisenbahnzug kommen sollte, strömte alles im Dorf
hin, um das neue Verkehrsmittel zu sehen. Eine Frau, die gerade Brot backte,
ließ Brot und alles im Stich, um die neue Eisenbahn zu sehen, fand aber bei
ihrer Rückkehr alles Brot verbrannt - so
groß ist die Macht der Neugierde. Nach der Vollendung der Bahn fanden viele
Obersuhler als Streckenarbeiter, Bahnwärter oder Angestellte auf dem Bahnhof
Gerstungcn eine Versorgung. Diese Stellen wurden eifrig gesucht und umworben,
boten sie doch dem Mann ein sicheres Brot.
Die Lebensweise
In
ihrer Lebensweise, d. h. im Essen und Trinken waren die Dörfer einfach und
bescheiden. Des Morgens gab es zum ersten Frühstück Kaffee oder Milch, dieser
sog. Kaffee hatte meist keine Bohne vom Kaffeebaum gesehen, es waren in Würfel
geschnittene und gedörrte Runkelrüben aus denen mit einem Zusatz von Cichorie
das Getränk hergestellt wurde. Nur bei den Vermögenden wurden Kaffeebohnen
rnitverwendet. Zum Kaffee gab es Brot vielleicht mit Mus oder Saft, höchstens
Schmalz. - Um 9 Uhr folgte das 2. Frühstück, das reichlich und gut sein mußte.
Da gab es zum Brot Butter, Wurst mageren Speck, Käse, als Getränk ein Gläschen
Schnaps oder leichtes Bier. - Mittagessen war um 12 Uhr, dann wurde eine
Mittagspause in der Arbeit gemacht. Waren die Leute zu Hause, so gab es bei den
Anspännern und Tagelöhnern vielfach nur gesottene Kartoffeln mit Sauermilch
oder Schmalzgrieben. Von den Großbauern, die Leute im Feld hatten, wurde ein
gut gekochtes Gemüse mit Rauchfleisch oder Wurst verlangt. - Des Nachmittags
gab es Kaffee mit Brot und Zukost, des Abends oft gesottene Kartoffeln und
Dickmilch oder Kartoffeln mit Kaffee, vielleicht auch Brot mit Butter und Käse
oder eine dicke Suppe. -
Am
Sonntag war das Mittagessen etwas besser. Bei den Wohlhabenden gab es wohl ein
Stück frisches Fleisch oder Rauchfleisch mit Gemüse. Bei den mittleren Leuten
erschien dann Zusammengekochtes auf dem Tisch, im besten Fall mit etwas Wurst oder
Rauchfleisch, Bei den Armen waren wieder.Kaftoffeln das stehende Gericht. Die
übrigen Mahlzeiten unterschieden sich kaum von denen in der Woche.
Die
Kartoffel spielte also in der Ernährung eine große Rolle, dies wurde auch
dadurch begünstigt, daß das Ackerland für den Anbau dieser Frucht
außerordentlich geeignet w
Die Obersuhler
Da
Obersuhl ein echtes Bauerndorf war, traten alle Tugenden und Fehler unserer
deutschen Bauern deutlich hervor. Zu ihren Vorzügen gehört ihr großer Fleiß und
ihre Arbeitsfreudigkeit, die man sogar Arbeitsfanatismus nennen könnte. Dazu
kam ihr häuslicher Sinn und die Sorge für ihre Angehörigen, womit sich
Sparsamkeit und Einfachheit verband. Groß war auch ihr Festhalten an alter
Sitte, an altem Herkommen und Brauch, daher fanden Neuerungen im Leben, in der
Arbeitsweise nur schwer Eingang. Wie überall unsere Bauern hielten die Obersuhler darauf, daß die Stellung, die
jedem gebühre, vom anderen beachtet wurde. Der Großbauer sah es als selbstverständlich
an, daß ihm sein Rang in der Gemeinde
nicht verkürzt wurde, denn der richtige Bauer ist stets Aristokrat. Daß der
Tagelöhner dem Großbauern gleich sein soll, ist ihm unverständlich. .
Groß
war auch der religiöse Sinn, wie der sonntägliche Gottesdienst bewies. Daß dies
nicht bloß ererbtes Gut, nicht bloß Gewohnheitschristentum war, zeigten
zahlreiche Beweise christlicher Frömmigkeit. Daraus ergab sich auch manche alte
schöne Sitte, z. B. daß beim Verlesen des göttlichen Wortes im Gottesdienst die
Gemeinde sich erhob, daß beim Nennen des Namens Jesus alles sich ehrfurchtsvoll
verneigte - eine Sitte, die - wie ich höre -jetzt nicht mehr besteht.
Gern
war man bereit, anderen zu helfen, den Nachbarn und Freunden gefällig zu sein.
Chakteristisch war ferner die Liebe zur Heimat, zu dem Dorf, zu dem Haus, wo
man geboren war. Wohl trieb die Not des Lebens manche aber das Weltmeer, aber
das Heimweh verließ die meisten nicht, mehrere kehrten wieder in die alten
engen Verhältnisse zurück, so ein in der Nähe des Pfarrhauses wohnender Kleinbauer.
Gefragt, weshalb er nicht drüben geblieben wäre, erwiderte. er: "Ja, wenn
das Heimweh nicht wäre". Diesen Vorzügen standen auch Fehler gegenüber.
Wie anderwärts herrschte auch in Obersuhl bei manchen großer Starrsinn und
hartnäckiges Festhalten an einer einmal gefaßten Meinung, an einem Plan. Bei anderen fand sich als Übermaß der
Sparsamkeit Geiz und Habsucht, bei einigen wenigen Rechthaberei und
Prozeßsucht Bei der Jugend trat
Streitsucht und Rauflust zu Tage, hervorgerufen und gesteigert durch den Kitzel
andere zu uzen und zu verspotten. Manches anfangs friedliche Zusammensein
schloß daher mit einer tüchtigen Prügelei. Schlimm wurde es, wenn man zum
Messer griff, dann gab es zuweilen gefährliche Wunden. Doch ernste Strafen
dämmten dies Unwesen ein . Den Hauptmesserhelden strafte der durchaus humane
Amtmann in Nentershausen einst höchst empfindlich. Als dieser Held sich nicht
rechtzeitig zu der Gefängnisstrafe stellte, die ihm sein Tun zugezogen hatte -
er wollte erst die Kirmes mitmachen -, ließ ihn der Amtmann ein paar Tage vor
der Kirmes durch den Gendarmen holen. Nun machte sich die Mutter des Bestraften
nach Nentershausen auf den Weg, um ihren
Jungen loszubitten. Der Beamte gab dieser Forderung nicht nach, da
überschüttete sie ihn mit einer Flut von Vorwürfen und Schmähungen. Die Folge
war, sie wurde wegen Beleidigung des Richters ein paar Tage eingesteckt und saß
nun wie der geliebte Junge die Kirmes über in Nummer Sicher. Das Mittel
half. Dieser Bursche hütete sich künftig
vor solchem Vergehen. Überhaupt nahm die Messerstecherei allmählich ab. -
Unredlichkeit
und Diebstahl kam verhältnismäßig wenig vor. Nur ein paar arme Familien suchten
ihren Unterhalt durch Diebereien zu verbessern. Sie arbeiteten wohl zeitweise,
benutzten aber die Gelegenheit zu mausen. Zu diesem Kreis gehörte die alte S.
Als sie einst durch Untersuhl ging, saß eine Gans auf der Straße. "Gans,
ich sage Dir, geh' nach Haus", ermahnte die Alte den Martinsvogel. Die
Gans rührte sich nicht. Sofort packte die S. sie am Hals, schwenkte sie in ihre
Kötze und eilte weiter. Ein Nachbar des Besitzers hatte den Vorgang gesehen und
verständigte den Geschädigten. Rasch eilte dieser mit zwei Söhnen jeder mit einem festen Stock bewaffnet, der
Diebin nach und holten sie vor Obersuhl ein. Die Gans wurde ihr abgenommen, sie selbst weidlich verbläut.
"Ich wollte ja die Gans nur Ordnung lehren", verteidigte sich die S.
"Und wir bringen Dir jetzt Ordnung und Redlichkeit bei" , war die
Antwort. Solche Selbsthilfe fruchtete mehr als Gefängnisstrafe. Da die
Obrigkeit und das ganze Dorf scharf
gegen solche diebische Gesellen auftrat, zogen sie es vor, aus dem Dorf zu
verschwinden. Seitdem hörten die Diebstähle mit einem Schlag auf.
Der Broterwerb
Fragen
wir: "Wie erwarben die Leute das tägliche Brot?", so lautet die
Antwort: Der größere Teil, die Bauern und Tagelöhner z. T. auch die Handwerker lebten vom A c k e
r b a u . Das Ackerland der Obersuhler Flur ist im allgemeinen von mittlerer
Güte, namentlich in der Ebene, und lohnt den fleißigen Bebauer ausreichend; nur
die Länder an der Höhe nach Richelsdorf hin sind dürftig und bringen wenig
Frucht. Die Wiesen lagen teils nach dem Räten zu, teils nach Untersuhl und
Berka hin; namentlich die letzteren, in der sog. Au waren gut. Der Fleiß der Dörfer gewann Äckern
und Wiesen ihren Ertrag ab. Denn von frühmorgens bis zum Läuten der Abendglocke ging die Arbeit ihren
regeImässigen Gang. Der Herr selbst und seine Kinder, sobald sie helfen
konnten, arbeiteten mit oder führten die Aufsicht während die Hausfrau zu Haus
für das Essen sorgte. War im Herbst die Feldarbeit beendet, so begann das
Dreschen des Getreides. Von des Morgens 3 oder 4 Uhr an ertönte beim Schein
einer Laterne der Klang der Dreschflegel in gleichnamigem Takt. War die
festgesetzte Zahl der Garben erledigt, so folgte das Reinigen das Getreides,
entweder durch Handarbeit mit der Worfschaufel oder durch eine hölzerne
Reinigungsmaschine. Dreschmaschinen aber, die sich heute überall finden, waren
damals unbekannt. Daß bei der Arbeit auch Scherz und Spaß getrieben wurde,
manchmal recht handgreiflicher Art, wird
niemand wundern. Solcher Spott und Uz bildete gleichsam die Erholung von der
schweren körperlichen Arbeit, erhielt den Geist munter, den Körper ausdauernd.
Nur wenige Wochen blieben demnach nach Beendigung der Winterarbeit zur Ruhe. Sobald aber die Frühlingssonne lockte,
begann nun unverdrossen die Arbeit von neuem. So ging es Jahr für Jahr weiter
bis der Körper steif und schwach geworden war. Dann blieben die Alten zu Haus.
Doch gab es auch für sie noch leichte Arbeit in Haus, Hof und Garten, oder der
alte Bauer saß vor der Haustür und rauchte behaglich seine kurze Pfeife. Die
Großmutter strickte Strümpfe oder flickte und nähte für die kleinen Reißteufel,
wie sie wohl scherzend die Enkel nannte, die gar nicht verstanden, wie schnell
Löcher in den Jacken, Kitteln und Hosen entstanden. Gern verwahrte die Ahne die
Kleinsten und beobachtete mit Interesse deren Entwicklung,
Die Auswanderer
Da
die Industrie im Dorf und in der nächsten Umgebung völlig fehlte, - die jetzt
vorhandenen K a l i w e r k e im W e r r a t a l bei Berka, Heringen und Vacha sind erst
später angelegt worden - so reichten die erwähnten Erwerbsmöglichkeiten doch
nicht aus, um der wachsenden Bevölkerung Brot zu verschaffen. Daher setzte in
den 40 er und 50 er Jahren eine ziemlich starke Auswanderung nach Amerika ein.
Zuerst zogen junge, unverheiratete Leute, Burschen und Mädchen über das
Weltmeer und suchten ihr Glück in der neuen Weit. Da die meisten guten
Verdienst fanden, einzelne drüben sogar zu Wohlstand kamen, so folgten bald auf
ihre verlockende Schilderung der
amerikanischen Zustände auch ganze Familien nach. Vielen wurde, wenn sie auch
vorher mit dem Gegenteil geprahlt hatten, doch dieser Schritt recht schwer.
Denn die Heimatliebe steckte tief in ihren Herzen. Das sah man recht, wenn es
an das Abschied- nehmen ging. Vor der Abreise ging der A u s w a n d e r e r
bei allen Verwandten und Freunden umher und sagte förmlich Lebewohl.
Fast
alle verabschiedeten sich auch von ihrem Pfarrer und nahmen dessen gute Winke
und Ermahnungen willig auf. Am letzten Sonntag besuchten die Amerikaner, - so
wurden sie genannt - zum letztenmal den Gottesdienst. Des Nachmittags zogen
sie, die Röcke mit bunten Bändern, die Mützen oder Hüte wenigstens mit
gebackenen Blumen geschmückt, mit ihren Freunden, zu einer Reihe untergefaßt, durch das Dorf
und sangen Abschiedslieder. Aus allen Häusern winkte man ihnen zu und gab ihnen
noch gute Wünsche mit auf den Weg. Des anderen Morgens ging es in der Frühe zur
Eisenbahn, die den Auswanderer nach Bremen führte. Hier ging es zu Schiff, und
bald entschwand die Heimat ihren Blicken, meist auf immer.
Die
Briefe der Ausgewanderten mit den Antworten der Dörfer wurden fast ohne
Ausnahme zu meinem Vater, dem Ortspfarrer, gebracht. Er sollte aus dem Brief
vom fernen Lande ersehen, wie gut es ihren Angehörigen im neuen Vaterland gehe,
zugleich wurde er gebeten, noch einen Gruß beizufügen und die englische Adresse
zu schreiben, denn damit kamen die Dörfer nicht zurecht. So hörte man immer
wieder von dem Schicksal der Landsleute im fernen Land, es blieben so, wenn
auch schwache, Verbindungsfäden zwischen diesen und der Heimat.
Ende Mehr im
angegebenen Buch "Obersuhl..." von Georg Ide