Kurzer Geschichtsabriß von Oberdorla in der Vogtei               

Von Paul Karmrodt Oberdorla Gartenstraße  (um 1990 verfaßt)

 

Der Wanderer erblickte vom Rande des Vogteier Hainichwaldes, nach Osten schauend, drei große Dörfer. Sie liegen in einem Dreieck nebeneinander und kommen sich baulich immer näher. Die unmittelbare Nähe dieser Orte Oberdorla, Niederdorla und Langula, läßt ihre Verbundenheit erahnen.

Wer auch immer über die Geschichte eines dieser drei Orte berichten will, muß zwangsläufig die ganze Vogtei einbeziehen, da diese Dörfer einen gemeinsamen Ursprung und eine gemeinsame Geschichte haben.

Der Ursprung dieser Mark Dorla, so wurde dieses Gebiet einst genannt, liegt unweit der Mallinden drei uralten Lindenbäumen,die aber schon Nachfolgeexemplare in dieser alten Gerichtsstätte sind, stehen direkt an der Landstraße Mühlhausen- Eisenach.

In Sichtweite dieser Baumgruppe erblickt man einen kleinen See, der vor etwa 2400 Jahren durch einen Erdfall entstand.Die hier wohnenden Germanen sahen diese Naturwunder als eine göttliche Aufforderung an, am Rande des Wassers ihren Göttern Opfer darzubringen. Sie versöhnten sich mit diesen Göttern durch Opfergaben, baten um deren Segen für Haus und Hof, für ihre Kämpfe, die Gesundheit der Sippe und für eine erfolgreiche Jagd.

Im Laufe der Zeit verlandete der See, nach 1945 konnte an dieser Stelle Brenntorf gewonnen werden. Dabei wurden viele Zeugen der ehemaligen Kulthandlungen gefunden, aber auch Gebrauchsgegenstände,Tierreste und Waffen.  Prof Sehm Blanke leitete die Ausgrabung. Es zeigte sich bald, daß dieser ehemals heilige See,der größten und besterhaltendste Fundkomplex dieser Art in Mitteleuropa darstellt. Gemäß der Bedeutung dieser Stätte, erfolgte in der Gegend eine frühe christliche Missionierung, davon zeugen gewaltige Holzpfostenreste einer Holzkirche, die beinah 30 in lang und 8 in breit war. Diese Maße lassen vermuten, daß dieses Gotteshaus für Menschen einer größeren Region erbaut wurde.

Nur 1,5 km von dieser Stelle entfernt entstand etwa um 730 n. Chr. eine Nicolauskapelle, ihr Standort war die erhöhte Stelle des Oberdorlaer Angers. Da Bonifatius dieses Gotteshaus geweiht haben soll, kommt diese Zeit für die Entstehung dieser Kapelle in Frage.

1540 wird diese Kapelle genannt als die "Sankt Nicolaus capella auf dem Anger",es wird dabei erwähnt, daß eine Hufe Land und andere Pfründe zu den Einkünften der Kapelle gehörten. Diese waren aber auf die Peter-und Paulskirche übergegangen, da die Kapelle schon längst verfallen war. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes erfolgte im Jahre 810.

Thurnilohum hieß das Dorf damals. Anlaß für diese Nennung war eine Schenkung des Grafen Erpho an Würzburg. 932 wird das Dorf Durnloha genannt, als es Heinrich 1. dem Abt Meingoz von Hersfeld überließ.

Von Hersfeld erhielt der Graf Wigger von Bielstein Rechte und Besitzungen in der jetzigen Vogtei. Zur gleichen Zeit hatten aber auch die Herren von Treffurt Liegenschaften und Ansprüche in den drei Dorfschaften. Der Graf Wigger hatte seinen Sitz auf der Oberdorlaer Aldenborg (Allenburg).

Der fromme Mann erbaute in Oberdorla die Peter- und-Paulskirche, diese wurde 987 fertiggestellt. Der Erzbischof Willigis von Mainz weihte das Gotteshaus in diesem Jahr ein. Der Kirche wurde ein Augustiner- Chorherrenstift angeschlossen, in diesem wurden junge Geistliche ausgebildet. Nach alten Urkunden kam dieses Stift bald zu Reichtum und Ansehen.

Diese kirchliche Einrichtung trug auch zur schnelleren Entwicklung des Ortes bei, die Mönche legten Fischteiche und Weinberge an, der Propst des Stiftes ließ eine Mühle erbauen. Die Ortsbewohner lernten von den Mönchen eine zeitgemäß bessere Ackerkultur.

Als der Graf Wigger nach Mainz berufen wurde, schenkte er diesem Erzstift den größten Teil seiner Güter. Doch seine Leute in der Mark Dorla bekamen von Wigger den großen Hainichwald und Steuerprivilegien geschenkt. Es sind noch Dokumente textlich erhalten,nach denen Mainz diese Steuerfreiheit bestätigen mußte, das geschah zuletzt durch einen Freibrief des Erzbischofs und Kurfürsten Johann Schweighardt von Mainz im Jahre 1680.

1274 war die Oberdorlaer Kirche baufällig, durch einen 40tägigen Ablaß wurde ein Teil der Gelder für den Wiederaufbau beschafft.

Die Treffurter wurden im Laufe der Zeit Raubritter, sie plünderten und raubten in den benachbarten Gebieten von Mainz, Sachsen und Hessen. Als diese Räuber immer dreister wurden.,vereinigten sich die betroffenen Landesherren und kämpften gegen die Treffurter und besiegten sie. Als sie die Beute teilten, wollte keiner der drei Recht und Besitzung in der Mark Dorla aufgeben; somit wurde von nun an die Mark Dorla dreiherrschaftlich regiert. Jeder der drei Sieger ließ seine Interessen durch einen Vogt in Oberdorla wahrnehmen. Deshalb hießen diese drei Dörfer von da an - die Vogtei. Mainz hatte jedoch durch die Wiggersche Schenkung die größten Rechte in der Vogtei, konnte diese aber nie zum Erlangen einer Vorherrschaft nutzen. Einer der Gründe dafür war, daß der geldgierige Kurfürst von Mainz von 136o bis 1573 die alte Mainzische Hälfte an die Reichsstadt Mühlhausen verpfändete. Auf dem Anger von Oberdorla wurde Gericht gehalten, der große steinerne Gerichtsstisch ist noch ein stummer Zeuge aus dieser Zeit. Auf diesem Anger ereigneten sich alle wichtigen Ereignisse, die für die Vogteier entscheidend waren. Es ist der größte Dorfplatz dieser Art in Thüringen, er ist 5000 Quadratmeter groß und mit beinah 100 Bäumen bewachsen. Darunter sind alte Exemplare, die gute und schlechte Ereignisse gesehen haben. Hier wurde auch Gottesdienst abgehalten, als 1666 und 1731 die Kirche bei Dorfbränden stark beschädigt war.

Im Siebenjährigen Krieg marschierten hier Truppen auf, als in der Nähe eine kleine Schlacht stattfand. 1786 wurde der Dorfplatz zur Stätte der Unterdrückung! Ehrbare Bürger wurden hier verprügelt, weil sie den Hut an der Stange nicht gegrüßt hatten. Sachsen und Mainz wollten in diesem und folgenden Jahren die Vogteier zu Zugeständnissen zwingen.

Die Steuerrechte sollten zu erheblichen Gunsten der Besatzer verändert werden, die mit 400 Flinten und Säbeln den unbewaffneten Einwohnern gegenüberstanden. Die Rechte und das Eigentum am Wald wollten die Herren schmälern, die Jagd sollte nicht mehr das Recht des Dorfes sein, und Soldaten sollten die Vogteier nun auch werden.

Den wehrlosen Einwohnern blieb nur die Möglichkeit des diplomatischen Vorgehens, Abordnungen wurden nach Mainz, Dresden und zum Kaiser in Wien geschickt. Aber auch nach Kassel marschierten Abordnungen, obwohl Hessen schon 1736 seine Rechte in der Vogtei an Sachsen abgegeben hatte. Doch alle Bemühungen waren wenig erfolgreich - es kam ein magerer Vergleich zustande. Ein Denkmal auf dem Anger erinnert an die schwere Zeit der Besatzung und Ausplünderung der drei Orte.

1802 kamen die Vogteier zur Krone Preußens, schon bald danach wurden sie zu Bürgern der französischen Nation erklärt, sie gehörten einige Jahre zum französisch regierten Königreich Westfalen, das vom Bruder Napoleons regiert wurde. Als die Vogtei nach der Niederlage Napoleons wieder zu Preußen kam, wurde 1817 auf dem Anger das letzte Dorfgericht abgehalten.

Über lange Jahrzehnte hinweg war Oberdorla das größte Dorf im damaligen Regierungsbezirk Erfurt. Die heimatliche Flur konnte nicht alle Einwohner ernähren, zumal die industrielle Entwicklung langsam verlief.

 

500 junge Oberdorlaer wanderten nach Amerika aus, ihre Arbeitskraft und ihr Unternehmungsgeist gingen dem Dorf für immer verloren.

1910 wurde die Vogteier Bahn gebaut, nun lag das Dorf an der Bahnstrecke Mühlhausen-Treffurt; die Stillegung der Bahnlinie erfolgte 1969.

Im Ersten Weltkrieg fielen 145 Oberdorlaer, für sie wurde eine Gedenkstätte in der Friedhofskapelle geschaffen.

Für über 200 Gefallene des 2.Weltkrieges und die Opfer von Gewalt und Diktatur ist eine weitere Gedenkstätte im Stadium der Vorplanung. Die Oberdorlaer haben eine lückenlose Geschichte und Chronik, aber auch andere kulturelle Werte werden im Ort gepflegt. So die Erforschung von Bodendenkmalen, der Erhalt der Vogteier Sprache, der Trachten und Bräuche.

Auf einem Pferdewagen wird jährlich, am zweiten Pfingsttag ein kegelförmiges, über 2m  hohes Laubgestell durch die Straßen gefahren, der Schößmeier. Die Dorfbewohner rufen zum Laubkegel: "Stuffei pfief'”, ein unbekannter Junge im Innenraum antwortet daraufhin mit einer Pfeife.

Nach dem Übergang zum Christentum feierten die Dorfbewohner brav ihr Pfingstfest, danach stellten sie ihrem Sondergott "Stuffo" die Frage nach seiner Existenz. Zum Schein des Gerechten wurde dem Laubhohlkörper ein Kreuz aufgesetzt. Uralt ist dieser Brauch, er reicht in die Zeit zurück, in der einst die Kultfiguren im Seeheiligtum mit solchen Laubkegeln gegen Wind und Wetter und auch gegen böse Blicke geschützt wurden. Im 18.Jahrhundert verbot die Kirchenbehörde diesen unchristlichen und abergläubischen Narrenbrauch. 20 Reichstaler Strafe mußten bei Zuwiderhandlung bezahlt werden, das war damals der Gegenwert für eine Kuh. Doch unter der dreiherrschaftlichen Verwaltungsform blieb der alte Brauch erhalten; was ein Vogt verbot, erlaubte der andere.

Neben diesem Brauch gibt es in der Vogtei noch den Strohbären, die große pfingstliche Wasserschlacht am Dorfbach und die Rechnung. Bei dieser zahlen die Burschen den gemeinsamen Verzehr der Pfingsttage gemeinsam nach dem Fest. Ein Relikt aus der Zeit, als gemeinsame Arbeit und gemeinsames Feiern in der Dorfmark eine Selbstverständlichkeit waren. Wie an anderer Stelle erwähnt wird, tragen die Mitglieder unserer Trachtengruppen zumeist Kleidungsstücke, die 200 Jahre alt sind und noch älter. Damit ist aber der Bericht über die Vogteier Traditionen noch nicht zu Ende. Wer sich mit der Geschichte und den Traditionen verbunden fühlt, ist in Oberdorla richtig und immer willkommen     ........

 

Paul Karmrodt 1992